Das Alphabet des Universums
Manuel Dedio hat eine „App für nichtbegeisterte Mathematiker“ entwickelt
Obwohl er meist als Philosoph in Erinnerung ist, war Platon im antiken Griechenland auch einer der wichtigsten Förderer der Mathematik. Galileo Galilei, ein anderer berühmter Philosoph und Naturwissenschaftler, schwärmte gar, Mathematik sei das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben habe. Ein Alphabet, das für viele schwer „lesbar“ ist. Manuel Dedio will das ändern. Er hat eine „App für nichtbegeisterte Mathematiker“ entwickelt.
Für seine Ingenieurskunst wird Deutschland weltweit gerühmt. Doch die Zeiten, in denen sich das Land auf seinen Lorbeeren ausruhen konnte, sind vorüber. Das mathematisch-naturwissenschaftliche Verständnis schrumpft rapide. Etwa 25 Prozent der heute 15-Jährigen in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), also etwa 16 Millionen Menschen, stehen mit der Mathematik auf Kriegsfuß.
„Es gibt zwei Arten von Menschen“, weiß Manuel Dedio. Die, die sich in der Mathematik gut aufgehoben fühlen und zurechtfinden; andere, die alles verfluchen, was mit Buchstaben, Dreiecken und Formeln zu tun hat. Jene, die die Mathematik intuitiv verstehen, können sie nur schwer allen anderen erklären.
Sich der Mathematik über die Sprache und die Philosophie zu nähern, das ist auch die Idee hinter der KI-gestützten Lern-App, die Dedio und seine Mitstreiter:innen entwickelt haben. „Leibniz war Philosoph und Mathematiker“, erklärt er, „auch wir wollen beidfüßig schießen.“ Mit Sprache können Symbole wie sie in der Mathematik gebräuchlich sind, einfacher erklärt werden. Ein grundlegendes Verständnis für Zahlen empfindet er schon, erzählt der 35-Jährige. Er hat sogar eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen. Damals entschied er, sich auf Mathe „einzulassen“, fühlte aber, so richtig ging es nicht weiter. „Für abstraktes Denken, das in der Mathematik notwendig ist, werden bestimmte Gehirnbereiche benötigt“, sagt er. Abstraktion aber braucht die „richtige Erklärweise“, nämlich, extrem kleinschrittig und veranschaulichend. Mit der falschen Intuition geht es nicht voran. Die in der Schule propagierte rettende Methode „auswendig lernen“ verhilft zwar eventuell zum Schulabschluss, jedoch nicht zu einem tieferen Verständnis.
Dedio hat zunächst einen einfachen Youtube-Kanal namens Mathropolis gestartet, aus dem „Epapa“ hervorgegangen ist. „Wir möchten die besten Mathe-Tutor:innen sein und Schüler:innen helfen, Mathe zu mögen. Besonders Menschen, die Schwierigkeiten damit haben, wollen wir unterstützen.“ Für seine App hat er sich oft die Frage gestellt: Wie funktioniert Mathe? Was ist Mathematik? Wie kann sie „beschrieben“ werden? Sprachlich zunächst, nicht symbolisch. Für die App sollten die Hürden bewusst niedrig sein, Berührungsängste vermieden werden, ein unkomplizierter Einstieg möglich sein. Menschen sollen sich „einlassen“ auf die Mathematik. Mikrolerneinheiten, hohe Interaktion, Leseeinheiten, spielerische Elemente und Übungen und gezieltes Feedback helfen dabei. Dazu kommen vier eigens entwickelte virtuelle Charaktere. Der Lehrer Epapa, die Schüler:innen Markus und Stephanie und der Hund Puppy. Das illustriert auch der sogenannte Zwei-Welten-Ansatz der App mit seinem geteilten Bildschirm: Mathe, als die vorgestellte Welt, die Welt der Zahlen und Variablen – und die reale Welt mit ihren Symbolen, die sich auf die mathematisch-vorgestellte Welt beziehen.
Im Frühjahr 2021 startet Dedio einen Youtube-Kanal, um seine Lernmethoden zu testen. Seit Oktober 2022 folgten ein Stipendium für die Produktentwicklung in der Startup Villa der Freien Universität Berlin. Neun Monate Arbeit später sitzt das junge Unternehmen nun seit Oktober 2023 im KI-Accelerator K.I.E.Z., baut Kontakt zu Schulen auf. Im Frühjahr soll die App in den App-Stores verfügbar sein.
Rico Bigelmann für Potenzial