Triff dein Vorurteil
Mitarbeitende der WISTA Management GmbH trafen Menschen, die Erfahrungen mit Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung haben
Die WISTA Management GmbH (WISTA) setzt bei ihrer Arbeit als Standortentwickler und Unternehmensförderer auf ein diverses Team, ein tolerantes Miteinander und die individuelle Entfaltung der Mitarbeitenden. Unterstützung findet sie beim Verein „Lebendige Bibliothek e. V.“.
„Mein Name ist Gerhard und ich bin Analphabet.“ So beginnt der 64-jährige Gerhard Prange das Gespräch mit vier ihm bislang vollkommen unbekannten Menschen. Er erzählt von einem Leben voller Schwierigkeiten: Schon die Eltern konnten weder lesen noch schreiben, in der Schule gab es für ihn so kurze Zeit nach dem Krieg keine Förderung. Eine abgebrochene Lehre und Arbeit in einer Reinigung folgten. Prange arrangierte sich mit seinem Schicksal, vertuschte, führte eine Art Doppelleben – ein Riesenkraftakt, der ihn alkoholkrank werden ließ.
Gerhard Prange ist an diesem Nachmittag eines von drei sogenannten menschlichen Büchern aus der „Lebendigen Bibliothek“, die ihre Erfahrungen mit Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung mit Mitarbeitenden der WISTA teilen. Andere „Bücher“ des Berliner Vereins, der 2018 nach dem Vorbild einer dänischen Jugendinitiative gegen Gewalt entstand, haben Diskriminierung aufgrund ihrer Hautfarbe, Behinderung, sexuellen Orientierung, Religion, Obdachlosigkeit oder Krankheit erlebt. Sie können in Veranstaltungen der „Lebendigen Bibliothek“ öffentlich besucht, aber auch von Schulen oder auch Erwachsenengruppen für ein persönliches Gespräch „ausgeliehen“ werden und bieten so die Möglichkeit, Einblicke in andere Lebenswirklichkeiten und Sichtweisen als in die eigenen, vertrauten zu bekommen.
Für Bessie Fischer-Bohn sind diese Gespräche „ein wunderbarer Weg, um die abstrakten Begriffe ‚Wertschätzung‘ und ‚Respekt‘ fühl- und greifbarer zu machen. Diese Berührung führt zu nachhaltiger Veränderung in innerer Haltung und Verhalten von uns allen.“ Die Bereichsleiterin Personal/Organisation/Qualität ist angetreten, Toleranz und Offenheit im Arbeitsalltag der WISTA fest zu verankern. Regelmäßig laden sie und ihr Team zu Workshops ein, in denen die Mitarbeitenden aktiv an Projekten der Unternehmenskultur und Nachhaltigkeit mitgestalten können. „Wir arbeiten an innovativen und zukunftsgerichteten Projekten und das geht nur mit einem Team, das gleiche Ziele und Werte hat und sich bestmöglich entfalten kann. Ich bin stolz darauf zu sehen, dass wir uns hier Schritt für Schritt weiterentwickeln“, so Fischer-Bohn.
Die „Lebendige Bibliothek“ wird die WISTA auch in den kommenden Jahren begleiten, so beeindruckt waren die Teilnehmenden von den berührenden Gesprächen und der Möglichkeit, die eigenen Schubladen im Kopf einmal aufzuräumen. Gerhard Prange zum Beispiel erfüllt so gar keine Klischees, die vielleicht mit Analphabet:innen verbunden werden. Er ist äußerst redegewandt, verfügt über ein beeindruckendes Allgemeinwissen und wirkt unglaublich lebensbejahend. Und doch haben erst sein Outing und der Kampf gegen die Alkoholsucht auch die Kraft freigesetzt, wieder zur Schule zu gehen. Seit einigen Jahren lernt Prange zweimal in der Woche das Lesen und Schreiben – eine Welt, die ihm bislang verborgen blieb. „Irgendwann“, hofft Prange, „möchte ich meiner Tochter mal einen richtigen Brief schreiben.“
Peggy Mory für POTENZIAL