Dahlemer Start-ups im Aufwind
Das Umfeld von Freier Universität und Forschungseinrichtungen im Berliner Südwesten ist attraktiv für Unternehmensgründer
Jedes Jahr werden aus der Freien Universität Berlin etwa 25 neue Unternehmen gegründet. Nur wenige siedeln sich in der Nähe der Universität an. Ideen, die an der Hochschule und den diversen benachbarten, international angesehenen Forschungseinrichtungen entstehen, könnten zukünftig in unmittelbarer Nähe zu Produkten werden. Das im Bau befindliche Innovationszentrum FUBIC soll jungen Firmen Platz zum Wachsen bieten und helfen, kluge Köpfe in Dahlem zu halten. Kluge Köpfe wie Amelie Wiedemann, Judith Kikhney oder Jörg Lüchtenborg.
Unzählige Bakterien besiedeln den menschlichen Körper – sowohl außen als auch innen. Die meisten davon leisten wichtige Arbeit. Andere aber schaden uns. Gelangen sie beispielsweise auf Implantate, können sie schwere Infektionen verursachen – die häufigste Ursache für das Versagen von Implantaten. Die promovierten Wissenschaftlerinnen Annette Moter und Judith Kikhney vom Biofilmzentrum am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin haben ein einzigartiges Verfahren entwickelt, mit dem Biofilme, also die bakterielle Besiedlung von Oberflächen, visualisiert und genau nachgewiesen werden können.
Biofilme sind sozusagen Wohngemeinschaften von Bakterien und Pilzen, die sich vorzugsweise als „Schleimschicht“ auf einer Oberfläche ansiedeln. Das bietet ihnen eine Menge Vorteile: leichtere Ernährung und Wachstum, erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Antibiotika und besserer Schutz gegen Angreifer aus dem menschlichen Immunsystem. Biofilme sind überall und die Ursache für 80 Prozent aller Infektionen. Mit herkömmlichen Methoden kann zwar zum Beispiel die Spezies nachgewiesen werden, nicht aber, ob es sich um einen Biofilm handelt. In ihrem neuen und im klinischen Umfeld bislang einzigartigen Verfahren nutzen Moter und Kikhney Sonden, um Bakterien zum Leuchten zu bringen und so Biofilme sichtbar zu machen. Durch die Visualisierung weiß man sofort, welche Bakterien sich wo angesiedelt haben und wie aktiv diese sind.
Mehr als zehn Jahre ist die Idee gereift, wurde validiert, in Publikationen vorgestellt, mit Studien weiterentwickelt. „Letztendlich war die Methode entwickelt und das Feedback darauf hat uns 2017 sozusagen in die Selbstständigkeit geschubst“, erklärt Moter. Das auf dem Campus des Benjamin-Franklin-Klinikums der Charité in Berlin angesiedelte Unternehmen schaut mit Interesse auf das nur wenige Minuten entfernte FUBIC. „Wir können uns das gut vorstellen“, erklärt Kikhney, „schon wegen der Nähe zur Universität und anderen Forschungseinrichtungen. Und schließlich war es ja auch einmal ein Krankenhaus.“
Auch Amelie Wiedemann, promovierte Gesundheits- und Arbeitspsychologin, findet das FUBIC attraktiv. Gerade hat ihr Unternehmen eine siebenstellige Finanzierung eingeworben. Die Räume im Gründerhaus der FUB seien schon zu klein und man müsse zeitnah ausziehen. „Wir wissen, dass Fachkräfte in der Nähe des Wohnortes arbeiten wollen, sich eine gute Infrastruktur wünschen.“ Mit dem Wohlbefinden von Mitarbeitern befasst sich Wiedemann schon lange beruflich. Sie ist Geschäftsführerin und Gründerin der DearEmployee GmbH, einer Plattform für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz.
Glaubt man der Studie eines großen deutschen Versicherers haben sich die Fehltage wegen psychischer Leiden verdreifacht. Gesundes Arbeiten, sagt Wiedemann, sei eben mehr als ein ergonomischer Bürostuhl. „Es beginnt mit einer guten Analyse der Arbeitsbedingungen.“
Dafür haben Wiedemann und ihre Mitgründer Daniel Fodor und Henning Jakob eine wissenschaftlich fundierte, digitale Mitarbeiterbefragung entwickelt, die den traditionellen Fragebogen ablöst und als Basis für ein agiles betriebliches Gesundheitsmanagement für mehr Gesundheit, Zufriedenheit und Engagement beim Arbeiten sorgen soll.
„Das Bewusstsein für die Gesundheit der Mitarbeiter in den Unternehmen ist stark gestiegen“, erklärt Wiedemann. „Vielen Unternehmen fehlt das Wissen über die belasteten Zielgruppen und Ursachen. Gesundheits- und Personalmaßnahmen orientieren sich daher selten am Bedarf der Beschäftigten. DearEmployee hat eine Methode entwickelt, um Maßnahmen zielgruppenspezifisch abzuleiten, zu tracken und auf Basis historischer Daten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu prüfen“, ergänzt Henning Jakob. Dazu setzt das Unternehmen Big-Data-Anwendungen ein. „Von Daten zu Taten“ sei die Idee, erklärt Wiedemann.
Jörg Lüchtenborg, Boris Agea Blanco und Jinchun Chi sind Wissenschaftler von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und stehen noch am Anfang ihrer Unternehmensreise. Als wissenschaftliche Mitarbeiter haben sie speziell an der additiven Fertigung von Keramik geforscht. Dabei entstand die Idee, die Technologie in die Wirtschaft zu bringen. Die neue Technologie ermöglicht den 3D-Druck großer Keramikbauteile für die Industrie. Das Formgebungsverfahren lässt sich problemlos in vorhandene keramische Prozessketten einbetten. Zudem können die Teile sehr frei gestaltet werden. Die BAM unterstützt ihr Gründungsvorhaben CerAMing und Betriebswirt Sebastian Walzel kümmert sich um Gründungsvorbereitung und Geschäftsentwicklung.
„Im Moment sitzen wir noch in der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, direkt neben dem FUBIC. Die kurzen Wege zur BAM machen das FUBIC für uns interessant“, sagt Lüchtenborg, „wir hoffen, dass sich viele innovative Unternehmen hier ansiedeln.“
Von Rico Bigelmann für Potenzial – Das WISTA-Magazin